Überblick MamM 841 bis 860
841 Auf Tod oder Leben
842 Wunsch und Wandel
843 Innewohnen
844 Du machst Sachen!
845 In der Schule des Lebens
846 Eine Frage der Macht
847 Arnhild und Liebetraut
848 Verlernt ist verlernt
849 Begehre nicht; ich wünsche mir
850 Unerhört
851 Wie ein Topf über einer Plfanze
852 Nachtmeister Stropp und der Fall Kuno von Kessel {s75}
853 Susonne und Falterling {i351} (*27.11.2015)
854 Nachtmeister Stropp und der Fall Nikolaus {s76}
855 Nachtmeister Stropp und der Fall Nikolaus II {s77}
856 König Unnütz
857 Was heißest du mich gut?
858 Nachtmeister Stropp und der Fall Silberhochzeit {s78} (*8.1.2016)
859 Nachtmeister Stropp und der Fall Frunzel {s79} (*16.1.2016)
860 Nachtmeister Stropp und der Fall Körnerwiesel {s80} (*22.1.2016)
MamM 853 Susonne und Falterling {i351}
„Tut mir leid“, empfand Don Winterling jedoch keine großen Schmerzen, „mit der Adventszeit kann doch heutzutage kein aufgeklärter Mensch mehr
was anfangen.“
„So?“ sah es der Alte von der Halbinsel anders. „Gibt es unter den Kaufleuten keine, die sich für aufgeklärt halten?“
„Eben!“ sah’s der Besucher als Zustimmung. „Advent ist
heute nur noch eine Zeit des Kaufens und Verkaufens. Vermutlich ist er auch nur zu diesem Zweck eingeführt worden. In der Bibel wird er jedenfalls nicht erwähnt.“
„Ja und nein“, wollte der Alte nicht ganz zustimmen, „die Herrschenden in den Kirchen sind wohl genauso aufgeklärt wie du und sehen’s ähnlich. Für sie ist es eine Tradition, eine Zeit der Erinnerung; und wer damit bisher gut
gefahren ist, warum sollte der’s ändern? Die Kirchen sind voller als sonst, und die Spendenteller und Klingelbeutel erst
recht; und wer damit sein täglich’ Brot und Zubrot verdient, freut –“
„Und deshalb sollte dieser Zirkus abgeschafft werden!“ forderte Don Winterling unerbittlich. „Diese Hetze auf Markt und Gassen, diese als Maske getragene Freundlichkeit, diese Gefühlsduselei der Lieder, – das alles widert mich
an!“
„Schlimm, wenn’s anders wäre“, kommentierte der Alte, „bei dir. Aber hier und da, gibt es noch uns, die
Träumer, für welche die Adventszeit nicht rückwärts gewandt ist, sondern wo wir uns vornehmen, mehr das zu beherzigen, was zukünftig ist. Advent heißt Ankunft, nicht Abschied oder Abschiebung“, und er begann zu erzählen:
Jung gefreit, nie gereut, – so reimt es der sogenannte Volksmund; doch mancher hat das Wörtchen nie schon ersetzen wollen. Oder das Wort freien.
Susonne, das e ist stumm, und Falterling hatten jung geheiratet. Einander! Aus freien Stücken. Allein – nachdem die Flitterwochen entflattert waren und im
Frühjahr leider nicht mit den anderen Zugvögeln zurückkehrten, sah Falterling manches von einer anderen Warte.
Sicher – Susonne hatte auch schon vorher Zigarren geraucht; sie hatte auch schon damals gewußt, daß diese
Sucht nicht seinen Beifall fand; allein – eine Zigarrenraucherin im eigenen Haus zu haben, Tag und Nacht, das ist schon was
anderes. Und wenn sie das große Opfer brachte, nicht drinnen, sondern draußen zu rauchen, war’s auch nicht viel besser; denn so
dicht schließen Fenster und Türen nicht.
Und dann diese Reisesucht! Als ob es ihr auf seinem Schloß nicht gefiele! Unterwegs wurden sie in der Kutsche durchgeschüttelt, schwitzten oder froren, und in den Gaststuben war es laut und die Luft stickig und
verraucht. Wer konnte sich da wohl fühlen?
Und vor allem, nun ja, er hatte sich damals schon in ihr Äußeres verguckt. Sie war die schönste Prinzessin
weit und breit, ja, die schönste Jungfrau überhaupt. Und – was hatte er jetzt davon? Ausgaben! Als Bräutigam kannst du da etwas großzügiger sein; aber als Ehemann und Hausvorstand? Da mußt du auch die Zukunft bedenken und einen
Notgroschen für schlechtere Zeiten zurücklegen. Tscha, und zu diesem Thema gab es in der letzten Zeit zunehmend Streit. Nee, unter einer glücklichen Ehe hatte sich Falterling etwas anderes vorgestellt.
Nun traf es sich anscheinend von ungefähr, daß in dem Residenzstädtchen ein Zauberer seine Bude aufgeschlagen hatte. Doch nicht nur das traf sich, sondern Falterling und der Zauberer trafen einander auch. Und dabei machte der Zauberer ein Geschenk, als wolle er sich für seinen Aufenthalt unter die Gunst von Falterling stellen.
Er habe da einen Spiegel, tat der Zauberer geheimnisvoll, der zeige, wer die Schönste weit und breit sei.
Vielleicht habe Falterling dafür Verwendung.
Der nahm den Spiegel gnädig in Empfang und legte ihn gedankenlos auf seinen Schreibtisch. Was sollte er
reinschauen, er wußte auch so, wer die Schönste war.
Jedoch – nach einem neuen Streit über teure Einkäufe verirrte sich der Blick Falterlings irgendwie zu diesem Spiegel und – in diesen hinein. Aber – aber das war gar nicht seine Frau! Oha, welch ein Rasseweib! Das pechschwarze Haar, die vollendeten Formen, die Augen – Die mußte Falterling unbedingt kennenlernen!
Noch in der Nacht packte er seine Sachen, auch den Zauberspiegel nahm er mit, schrieb einen kurzen Brief – Nun ja, er verreise; es könne sein: für immer; er wolle eben sein Glück suchen, das er hier nicht mehr zu
finden hoffe. Und dann das Übliche: Er danke für alles, was SIE aus Liebe getan habe. Und – der Rentmeister sei angewiesen, sie nicht darben zu lassen. Dann machte er sich
aus dem Staub.
Nun, der Spiegel hatte von der schwarzhaarigen Schönen kein Trugbild geliefert; eigentlich war Dunja sogar noch anziehender. Zwar nicht nur auf Falterling, aber der hatte erst einmal den
Reiz des Neuen als Trumpf und stieg bald zu ihrem Favoriten auf.
Allein –
die Länge trägt die Last
und zeigt dir,
wo du dich geirret hast.
Was du siehst und hörst, sammelst du wie Tropfen in einer Zisterne, und irgendwann gewahrst du, wie voll sie schon ist. Dunjas tiefe
Stimme zeugte davon, daß auch sie den Götzen Tabak verehrte. Ihr Blick war nicht nur feurig, sondern gebieterisch. Und – wahrscheinlich liebte sie nur einen einzigen Menschen: sich selbst.
Wie von ungefähr blickte Falterling eines Tages in seinen Zauberspiegel: Oho, Dunja war nicht mehr die Schönste! Ein Blondchen! Ah, und diese herrlichen blauen Augen!
Also reiste Falterling alsbald weiter und fand Bionda noch schöner als ihr Spiegelbild. Ach, diese blauen Augen konnten nicht trügen! Allein – wieder füllte sich die
Zisterne. Wieso mußte sie beim Kartenspiel immer wieder mogeln? Ach, er
dürfe das nicht so streng sehen. Und wie sie von ihren Auslandsreisen schwärmte! Na, das täte sie bestimmt auch künftig fortsetzen.
Und wieder verirrte sich Falterlings Blick zu dem und in den Zauberspiegel. Aha, dieses Mal eine
Brünette! Was der Schmuck wohl gekostet – Schluß jetzt! Der
Zauberspiegel zersplitterte an der Wand in lauter Scherben. Mit wem hatte er, Falterling, alle Schönen immer wieder
verglichen? Und? Hatte nur eine auf Dauer standhalten können? Also? – Ob er IHR aber noch willkommen wäre?
Es war später Abend, als Falterling sein Schloß erreichte. Kaum 4 Wochen bis zum
Weihnachtsfest. Gerade setze jemand in das Fenster der Kemenate ein Licht. Das – das mußte SIE selbst sein! Hatte – hatte SIE tatsächlich auf ihn
gewartet?
SIE hatte! Abend für Abend hatte SIE das Licht in ihr Fenster gesetzt und an ihn gedacht. Und jenen Zauberer hatte SIE des Landes verwiesen, weil er ihr nachgestellt hatte und wohl ein verkleideter Prinz gewesen war. Siehst du, –
Aber Don Winterling war gerade grußlos gegangen.
„Adventslichter erhellen keinen Kopf“, murmelte der Alte, „sondern wärmen die Herzen des Wartenden und des Erwarteten.“ Dann schaute er nach–, ob er noch genügend Kerzen habe.
© Stiftung Stückwerken, *27.11.2015, freigegeben am 2.7.2024
Qouz-Note: 2-
***
MamM 858 Nachtmeister Stropp {78} und der Fall Silberhochzeit
„Struppe, nun komm doch endlich!“ ließ sich die Stimme unseres berühmten Freundes
vernehmen.
„Männer!“ seufzte die Stimme der Eheliebsten. „Ich kann
doch hier nicht alles so stehen- und liegenlassen!“
„Nun komm schon!“ ließ sich unser Stropp nicht
beirren. „Es geht gleich los. Eine Überraschung!“
Wie wir wissen, sind Frauen keineswegs neugierig, sondern stets bereit, Neues dazuzulernen, um dann Männer sattsam unterweisen zu können. Und die Igelin war eine Frau. Eine Vollblutfrau! Also trat sie vor die Türe und –
„Soll das die Überraschung sein?“ zweifelte Frau Struppe. „Ein Kranichkonzert? Gut, die hätten längst im Süden –“
„Nein“, widersprach unser Nachtmeister mit schmerzlicher Miene, „das war ganz anders gedacht. Ich hatte extra
für dich Ludovico bestellt –“
„Was?“ war nun die Eheliebste doch überrascht. „Ludovico Schnarr von
Totenfeldt? Den berühmten Amseltenor? Für mich? Wieso denn –?“
„Aber weißt du das denn nicht?“ ließ unser Igel Mitleid einfließen. „Heute ist doch unser Silberhochzeitstag, und dazu –“
„Stropp!“ nahm die Igelin kein Blatt vor den Mund. „Bist
du noch ganz bei Trost?“
„Nö“, gab unser Stropp ohne Zögern zu. „Aus der mach’ ich mir gar nichts. Ich hab’ doch dich geheiratet –“
„Aber nicht heute vor 25 Jahren!“ stritt Frau Struppe tapfer für die Wahrheit.
„Nö, wer sagt das denn?“ fühlte sich unser Held nicht widerlegt. „Bei uns Igeln sind das nicht Jahre, sondern –“
„Und wenn es Monate wären“, bewies die Eheliebste, daß auch sie nicht auf den Kopf gefallen war, „dann rechne doch mal nach. Welchen Monat haben wir jetzt?“
„Januar“, war’s für den trefflichen Mann kein anstrengender Denksport.
„Und 25 Monate zurück?“
„Da war Dezember.“
„Und? Dämmert’s dir endlich?“ half Frau Struppe mit
Nachsicht. „Haben wir etwa im Dezember geheiratet?“
„Also kennengelernt haben wir uns im Frühjahr“. kramte unser Stropp in seinen Erinnerungen. „Das war beim
Karussellfahren! Aber sind wir denn da gleich zum Dompfaff gerannt? Kann
das nicht doch im Dezember –“
„Ist das noch auszuhalten?“ schien die Igelin einem Weinkrampf den Weg bahnen zu wollen. „Verleumdet mich der eigene Mann, ich hätte uneheliche Kinder zur –“
„Tut er doch gar nicht“, versuchte unser Igel zu beschwichtigen. „Du hast bestimmt recht. Dann feiern wir heute eben Rubinhochzeit –“
„Stropp?“ hatte die Eheliebste geschwind nachgerechnet.
„– mit goldenen Steinchen“, versuchte unser Nachtmeister die Sache noch geradezubiegen. „Mit dir ist doch
sowieso jeder Tag ein Anlaß zum Feiern. Nur schade, daß es Ludovico anscheinend verschlafen hat. Seltsam, er läßt sich doch sonst so was nicht entgehen.“
„Na, mein Lieber“, blieb die Igelin weiter schonungslos. „Vergiß nicht dein Alter. Vielleicht hattest du ihn ja für das Frühjahr bestellt.“
„Ich bin doch nicht vergeßlich!“ wollte unser Igel diesen Schuh nicht anziehen.
„Oder du hast ihn mit den Kranichen verwechselt. Immerhin ziehen sie gen Süden, und wir können doch noch
unseren verdienten Winterurlaub –“
„Er hat ihn aber nicht verwechselt“, erhielt unser Igel unversehens Beistand.
„Was mischt du dich in anderer Leute Eheangelegenheiten ein?“ wollte Frau Struppe schon loslegen. „Ach, Fräulein Rossina, –“
„Entschuldigt bitte, gnädige Frau“, beeilte sich das Rotkehlchen, „selbstverständlich geht es mich nichts an.
Aber Ludovico hat noch gestern drüben in Dortwehr damit geprahlt, daß er heute hier singen werde. Und er hat uns alle dazu
eingeladen. Gewiß gäbe es hier Freiwein –“
„Was?“ konnte es die Igelin kaum fassen. „Er hat sich
erdreistet, unsere Gäste auszuwählen? Ja, ist denn das die –“
„Wo ist denn nun der Freiwein?“ zeugten mehrere Stimmen davon, daß Rossina die Wahrheit gesagt hatte.
„Moment!“ fühlte sich die Eheliebste in ihrem Amt als Haushaltsvorstand angesprochen. „Ludovico hat euch Freiwein versprochen. Gewiß wollte er ihn mitbringen. Da er aber noch immer nicht erschienen ist, folglich –“
„– muß irgend etwas passiert sein“, bemühte sich unser Nachtmeister, keinen Unmut aufkommen zu lassen.
„Ja, wenn ihr wüßtet, was ich weiß“, tat nun ein kleiner Zaunkönig sehr dicke.
„Und? Was weißt du?“ rief sogleich alles
durcheinander.
„Was wißt Ihr? heißt das“, stellte der Zaunkönig richtig. „Seit wann sind wir Duzbrüder?“
„Eingebildeter Gimpel!“ entfuhr es Frau Struppe.
„Das ist eine Beleidigung!“ protestierte ein Dompfaff.
„Jawohl!“ pflichtete der Zaunkönig bei. „Und deshalb
erzähl' ich euch nicht, daß Ludovico heute morgen noch gesungen hat. Aber dann kam ein Zweibeiner vom Friedhof herab, und der hat
plötzlich laut gerufen: Heda! Und dann: Du Schuft! Und als Ludovico keinen
Mucks mehr von sich gab: Du Mörder! Da hat er ihn wohl umgebracht.“
„Tod den Zweibeinern!“ empörten sich sogleich alle gefiederten Zuhörer. „Tod den –“
„Moment!“ verlangte unser Stropp Gehör. „Hast du denn
gesehen, wie der Zweibeiner ihn umgebracht –“
„Ich mußte mich doch in Sicherheit halten“, rechtfertigte sich der Zaunkönig, „und hab’ beide Augen –“
„– zugedrückt“, ergänzte unser Nachtmeister mit seinem berühmten Scharfsinn. „Außerdem – was sollte jener
Zweibeiner für ein Motiv gehabt haben?“
„Daß Ludovico seinen Schlaf gestört hat“, brauchten die Spätaufsteher unter den Vögeln nicht lange zu überlegen.
„Und dann ruft er: Mörder?“ zweifelte unser Igel sehr.
„Nein, nein; da muß etwas anderes im Busch gewesen sein. Hat ihn denn jemand gesehen?“
„Den Busch?“ fragte der Zaunkönig. „Nee, aber ich
glaub’, der Zweibeiner hat etwas gepfiffen (so schief, wie es die Menschen tun) und hat ihn gewiß aus Eifersucht –“
„Der Pfeifenkauz?“ folgerte unser Stropp. „Gewiß war er
es! Nee, da hätten wohl ganz andere Grund zur Eifersucht. Wie mir gesagt
wurde, war Ludovico bei den Frauen sehr beliebt. Und wer das mal gesehen hat, wie die Amselherren um eine – Halt! Es war unterhalb des Friedhofes, hast du gesagt? Also nicht weit vom Kirchturm
entfernt. Und wer wohnt dort unter Kirchenschutz?“
„Falk von Kirchenveldt!“ wagten die Vögel nur zu flüstern. „Der lautlose Tod!“
„Ja, er war’s“, bestätigte eine junge Meise. „Nun kann ich’s sagen, weil ihr selbst drauf gekommen
seid. Und wenn’s der Pfeifenkauz nicht hat verhindern können, was hätte ich –“
„Nichts“, tröstete unser Nachtmeister, „als dich verborgen zu halten. Denn gegen Falk hat selbst Reineke kein Mittel erfunden. Aber wer weiß – Ich lad’ euch alle zu einer Runde Trauerwein
ein. Unsere Weinteiche hier sind alle gut gefüllt.“
Das Igelpaar zog sich aber nun zurück und feierte seinen Hochzeitstag drinnen.
© Stiftung Stückwerken, *8.1.2016, freigegeben am 1.7.2024
Qouz-Note: 3-
***
MamM 859 Nachtmeister Stropp und der Fall Frunzel
„Es schneit! Es schneit!“ war unser Nachtmeister Stropp völlig aus dem Häuschen.
„Aber es wird wohl nicht liegenbleiben“, dämpfte Frau Struppe die Freude, als sie nun auch vor die Türe
trat.
„Auf den Bergen schon“, schürte unser Igel Hoffnung.
„Aber wir wohnen nicht auf den Bergen“, blieb die Eheliebste nüchterne Realistin.
„Was nicht ist, −“
„− muß auch nicht werden“, ergänzte die Igelin. „Hier bringen mich keine 10 Pferde mehr weg!“
„Aber wir hätten dann viel länger Winterurlaub“, gab unser Stropp zu bedenken. „Störungs−“
„Ach, da bist du ja“, schnarrte einen heisere Stimme, deren Eigentümer sein Grüßen wohl in die Wechselbank gegeben
hatte. „Gut, daß du schon wach bist. Ich hab’ da nämlich was für
dich. Mäusemord.“
„Guten Tag, Herr Friedensrichter“, bewies unser Nachtmeister mal wieder, daß seine Barschaft nie der Grüße ermangelte. „Ja, ja, es ist schon ein armes Volk! Ständig in Todesgefahr. Aus der Luft Raubvögel, Krähensippschaft und Reiher, zu Lande das Morden durch Räuber und Jäger −“
„Hoho!“ widersprach Reineke. „Wir Jäger morden
nicht!“
„Ach“, meldete sich Frau Struppe zu Wort, „ist das keine Heimtücke, dem Opfer aufzulauern und es dann hinterrücks −“
„Das ist stets ein fairer Kampf“, behauptete der Fuchs. „Fragt nur die 2beinigen Jäger.“
„Das Opfer zu füttern, in Sicherheit zu wiegen“, empörte sich die Igelin, „Vertrauen aufzubauen und dann dieses Vertrauen zu mißbrauchen −“
„Das ist doch kein Mißbrauch“, meinte der Friedensrichter richtigstellen zu müssen, „das ist auf unserer Seite List und Klugheit, auf ihrer Seite Dummheit. Und Dummheit muß −“
„− darf nicht ausgenutzt werden“, hatte Frau Struppe andere Wertvorstellungen, „insbesondere, wenn sie mit Schwachheit gepaart ist.“
„Schwachheit?“ stellte Reineke sehr in Frage. „Weiß Sie,
wie weh ein Mäusebiß tun kann? Was? Wie? Nein, nein, wir Füchse sind keine Mörder, sondern redliche Jäger, wahre Weidmänner, ja, eigentlich sogar treuliche Hirten.“
„Ha!“ entfuhr es der Igelin.
„Aber wir sind ganz vom Thema abgekommen“, ließ der Fuchs nur an seiner Arroganz merken, daß es ihm nicht entgangen war, sich nicht durchgesetzt zu haben. „Er hat mich eben völlig falsch verstanden. Stropp, Stropp, der Ruhm Seines
Scharfsinns ist wirklich reichlich übertrieben. Es sind keine Mäuse ermordet w o r d e n, sondern s i e haben
gemordet. Da sieht Sie wieder, Struppe, wie wichtig mein Amt und mein Beruf sind. Da muß harrt durchgegriffen werden, daß solche faulen und sogar giftigen Früchtchen nicht auch noch die andern anstecken! Veredelung der Art war schon immer −“
„Behaltet Eure Rede“, im stillen ergänzte Frau Struppe noch 2 weitere Wörter, „aber hab’ ich da wirklich richtig gehört: Mäuse morden? Die fressen doch nur −“
„Das ist ja eben das Schändliche!“ nahm’s der Friedensrichter gerne auf. „Sie morden nicht aus Hunger und Not, sondern aus niedrigsten Beweggründen; und
deshalb −“
„Wer ist denn getötet worden?“ zeugte unser Nachtmeister mal wieder davon, daß er sich auf seinen Beruf
verstand.
„Frunzel“, antwortete Reineke, „irgend so ein Kater drüben in Dortwehr. Muß schon etwas her sein, wurde mir aber gerade erst −“
„Ein Kater läßt sich von Mäusen ermorden?“ zweifelte die Igelin sehr. „Spricht das nicht gegen jeglichen Tierverstand?“
„Will Sie mir den etwa absprechen?“ witterte der Fuchs Respektlosigkeit. „Aber was ficht mich das an? Es gibt jedenfalls einen Zeugen, den ich gleich
mitgebracht habe. Rossini?“
„Jawohl, Herr Friedensrichter“, beeilte sich das Rotkehlchen. „Guten Tag, Frau Struppe. Guten Tag, lieber Stropp. Ja, also − ich hab’s belauscht. Frunzel war ein arger Wüte−, Verzeihung, Jäger, der selbst vor uns Vögeln nicht haltgemacht hat. Aber hauptsächlich hat er Mäuse er−, eh, gejagt, obwohl er von der Bäuerin stets genug zu fressen bekommen hat. Aber seine Beute hat er wohl als Zahlungsmittel angesehen und jeden Morgen auf dem Bauernhof abgeliefert. Jedenfalls hatten Egina und Egon einen großen Haß auf ihn, weil er wohl
schon etliche ihrer Verwandtschaft ermor−, eh, erbeutet hatte. Deshalb wollten sie ihm eine Falle stellen. Sie wollten ihn an die Chaussee nach Altenstadt locken und, ja, so war’s, sobald die Postkutsche von Norden
käme, unmittelbar vor dieser auf die andere Seite flitzen.“
„Da seht ihr“, strahlte Reineke, „der Fall ist ganz sonnenklar!“
„Hast du auch die Tat gesehen“, hakte unser trefflicher Stropp nach, „oder nur deren Plan belauscht?“
„Das ist doch ganz egal“, ließ der Fuchs das Rotkehlchen gar nicht erst zu Wort kommen. „Du machst dich
jetzt auf den Weg, verhaftest die beiden Täter, bringst sie hierher, und dann werden sie gleich hingerichtet. Am besten, du nimmst die
Schneckenpost.“
„Im Winter?“ mischte sich die besorgte Eheliebste ein.
„Da fährt sie gar nicht. Außerdem ist das viel zu gefährlich.“
„Keine Widerrede!“ polterte Reineke los. „Sonst lasse
ich euch beide wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt festsetzen!“
Am nächsten Morgen wartete nicht nur Frau Struppe vor dem Igelhaus auf unseren berühmten Freund, sondern auch der Fuchs hatte sich
eingefunden. Endlich kam unser Stropp, jedoch − ohne Mäuse.
„Hast du die Schurken bereits unterwegs verzehrt?“ herrschte ihn der Friedensrichter an.
„Sie waren’s nicht“, entgegnete unser müder Wandersmann. „Sie hätten den Kater auch gar nicht so weit an die
Seite zerren können. Nein, etwas gab mir von Anfang an zu denken.
Angenommen, mir wäre unterwegs etwas zugestoßen, was hättest du, liebe Struppe, getan?“
„Ich wäre dich suchen gegangen“, brauchte die Igelin nicht lange zu überlegen, „hätte dich als vermißt gemeldet, hätte alle Tiere gefragt und − hätte dich
gefunden; und dir eine Standpauke –“
„Und mit teuren Tränen beerdigt“, entfuhr es unserem Igel. „Nun, wurde Frunzel vermißt?“
„Sind Kater denn verheiratet?“ zweifelte Frau Struppe.
„Zumindest haben sie eine Geliebte“, zehrte unser Stropp von seiner Lebenserfahrung. „Meistens mehrere
davon. Und da habe ich angesetzt. Eifersucht! Das war das Motiv. Ich brauchte gar nicht lange zu forschen. Und als ich dann Sibrina zur Rede gestellt habe, da hat mir wohl geholfen, daß sie von mir nichts
befürchtete. Ich könne sie ja festnehmen, meinte sie schnippisch, wenn ich’s wagen wollte. Und dann hat sie prahlend alles gestanden. Auch sie hatte die beiden Mäuse belauscht
und deren Plan dann einfach umgesetzt.“
„Und warum hast du sie nicht mitgebracht?“ fragte Reineke vorwurfsvoll.
„Wenn sie jedes Jahr einen Kater umbringt“, gab unser Igel zu bedenken, „weshalb wollt Ihr sie da aus dem Verkehr ziehen?“
© Stiftung Stückwerken, *16.1.2016, freigegeben am 23.9.2024
Qouz-Note: 2-
***
MamM 860 Nachtmeister Stropp und der Fall Körnerwiesel
„Stropp?“ rief draußen eine heisere Stimme.
Drinnen ruhige Atemzüge.
„Stropp!“ wurde die Stimme draußen energischer.
Drinnen weiterhin ruhige Atemzüge.
„Wird’s bald!“ wurde draußen der Nachdruck erhöht.
Drinnen nichts Neues.
„Oder soll ich dir Beine machen?“ empfahl sich die Stimme als Schreiner.
„Komm doch, komm doch!“ murmelte drinnen eine Stimme im Schlaf.
„Das kannst du gleich haben!“ drohte die heisere Stimme.
„Stropp! Zum Kuckuck −“
„Der Friedensrichter!“ riefen drinnen 2 entsetzt, der Inhaber der männlichen Stimme sprang auf und − eilte
hinaus.
„Guten Morgen, Herr, Herr −“, versuchte sich unser Stropp zu sammeln, „Herr Friedensrichter.“
„Wird ja auch langsam Zeit!“ schimpfte Reineke.
„Jawohl“, pflichtete unser Igel gerne bei, „langsam −“
„Willst du mich auf den Arm nehmen?“ witterte der Fuchs Überlegenheit. „Wenn ich Ihn rufe, hat Er auf der Stelle zu kommen.“
„Kam ich denn nicht auf der Stelle?“ nahm’s unser Nachtmeister wörtlich. „Außerdem ist Winterschlaf, da −“
„Wo ist denn hier Winter?“ fragte das edle Tier verneinend. „Sag’ Er bloß, Er war heute nicht auf Streife.“
„Bloß“, griff’s unser Igel freudig auf, „und Ihr habt recht!“
„Häh?“ stutzte der Friedensrichter beim Begreifen.
„Jedenfalls geht es überall drunter und drüber!“
„Kreuzungsfreier Wegebau!“ zeugte unser trefflicher Nachtmeister von Scharfsinn, Bildung und Belesenheit.
„Häh?“ fand’s in Reineke keinen Nährboden. „Schwätz
nicht so dummes Zeug! Komm lieber zur, eh − Indessen wird in deinem Revier geraubt und gestohlen, was das Zeug hält!“
„Nägel, Schrauben −?“
„Halt endlich deine Schnauze!“ schmückte sich der Fuchs mit Unhöflichkeit. „Seit Tagen treibt hier ein Wiesel sein Unwesen und raubt meinen lieben Mäusen alle Körner.“
„Ach“, wunderte sich unser Igel, „gibt’s bei denen jetzt auch Vegetarianer? Na, da seid doch froh, wenn es
Euch nicht mehr Euer Schlachtvieh −“
„Wenn sie aber verhungern?“ fand der Friedensrichter darin keinen Trost.
„Ach so“, kleidete sich unser Stropp in Einfalt, „es raubt ja seit Tagen alle Körner. Wachsen die denn immer
wieder nach? Auch jetzt im −“
„Stropp!“ schimpfte Reineke. „Während du hier
rumschläfst und dummes Zeug faselst, hätte ein anderer schon längst den Täter gefaßt. Ich seh’ schon, ich bin mit dir viel zu
nachsichtig gewesen. Also − hast du bis morgen früh den Täter nicht deinem Friedensrichter vorgeführt, dann werd’ ich das Amt besser
einem meiner Söhne anvertrauen müssen.“
„Wieso Söhne?“ fragte drinnen wenig später Frau Struppe.
„Hat er zu seinen Töchtern kein Vertrauen?“
„Bestimmt nicht weniger als zu seinen Söhnen“, urteilte unser Nachtmeister. „Er kann sich doch ausrechnen, daß
− ob Füchsin oder Fuchs − keiner seiner Untertanen so etwas akzeptieren würde.“
„Aber so weit wirst du es ja gar nicht kommen lassen“, versuchte die Eheliebste ihre Gewißheit zu übertragen.
„Hast du schon einen Verdacht?“
„Hm!“ hatte unser Igel noch nichts ausgesessen.
„Sonderbar, daß ein Wiesel plötzlich Körner raubt. Natürlich wäre es, wenn es die Mäuse mästet und dann die Mäuse −“
„Vielleicht ist es ja vom Jäger zum Bauern geworden“, überlegte die Igelin hörbar, „und hält sich sein eigenes Vieh. So wie die 2beiner ihre Kühe.“
– „Nee“, widersprach der Gatte, „ein Wiesel sammelt nicht für andere; das ist wider alle
Lebenserfahrung. Das wäre ja Arbeit. Außerdem denke ich, daß Reineke mal
wieder tüchtig übertrieben hat. Allein − da kommt mir eine Idee! Aber
vorher muß ich noch erfahren, ob die Raubzüge auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt waren. Und das muß ich jetzt ermitteln!“
„Was?“ besorgte sich die Igelin. „Du willst den Tag zur
Nacht machen und nicht mehr weiterschlafen? Weißt du nicht, wie gefährlich das ist? Noch liegt überall Schnee, und du bist für jedermann zu erkennen.“
„Eben!“ focht es unsern Stropp nicht an. „Was am Tag
getan werden muß, daß muß am Tag getan werden!“ Und er zog von dannen.
Auch wenn sein Scharfsinn so berühmt ist, bedeutet es nicht, daß er keine Grenzen hat. Hatte unser
Nachtmeister etwa 2 Arten von Wesen nicht in seine Überlegung einbezogen: die Hunde und deren Frauchen, die sich bekanntlich für sehr tierlieb halten?
Von ersterer Art ward unser Stropp bald gestellt, von letzterer Art ward er nach Hause mitgenommen. Denn ein
wandernder Igel mitten im Winter wurde von Frauchen entschieden als hilflos eingestuft und entführt.
Aber nun zeigte sich wieder einmal die Trefflichkeit unseres Helden: Statt sich heftig gegen sein Schicksal aufzulehnen, trachtete er danach, das Beste daraus zu
machen. Nur in die warme Stube ließ er sich nicht mitnehmen und bedeutete, die Scheune als Winterquartier vorzuziehen.
Doch als er dort einen Sack und in einigen Mäusen Helfer gefunden hatte, diesen Sack mit Körnern zu füllen, hielt ihn dort nichts länger.
Hast du schon einmal einen Igel mit einem Kornsack auf dem Rücken gesehen? Zu Fuß? Auf freiem Feld? Im Winter? Zur Mittagszeit? Ja, das ist der springende Punkt: Zur Mittagszeit sind keine Hunde
und keine Frauchen unterwegs. War das nicht genial von unserm Igel? Dafür
aber war unterwegs −
„Dies ist ein Überfall!“ ward unser Stropp plötzlich von hinten angerufen.
Gemächlich und unerschrocken setzte unser Nachtmeister seinen Sack ab und wandte sich um. Was er nun erblickte,
hätte jeden anderen vor Schreck erstarren lassen: das Wiesel! Das blutrünstige Wiesel!
Doch blitzschnell hatte unser Held überlegt: Entweder war es ein Wiesel, dann aber nicht blutrünstig (Dafür sprach, daß es nicht gleich
gemordet hatte.), oder es war gar kein Wiesel.
„So?“ ergriff er sogleich das Wort. „So sieht also ein
Überfall aus, was? Na, dann zieht mal sogleich euren Pelz aus! Den
habt ihr wohl auch gestohlen, was?“
Nein, erzählte unser Stropp später zu Hause, den hätten sie gefunden. Nun ja, ich habe sie denn verwarnt und
nach Dortwehr zurückgeschickt. Den Sack habe ich ihnen gleich mitgegeben, als Startkapital, um
ehrlich zu werden. Na ja, und so brauchte ich ihn nicht mehr zu schleppen.“
„Sie? Ihnen?“ wunderte sich Frau Struppe.
„Ja“, bekräftigte unser Igel, „es waren Egina und Egon von meinem letzten Fall. Die hatten sich in einen Wieselkadaver hineingefressen.“
„Wird Reineke nicht zürnen, daß du sie hast laufenlassen?“
„Das weiß der doch gar nicht. Dem werde ich den Wieselpelz zeigen“, schmunzelte unser Stropp, „das wird
mächtig Eindruck machen!“
„Ach, mein lieber Stropp“, freute sich die Eheliebste, „was hab’ ich mir da doch großgezogen!“
© Stiftung Stückwerken, *22.1.2016, freigegeben am 24.9.2024
Qouz-Note: 2-
***