Überblick MamM 321 bis 340

 

   321  Dichter Nebel (*5.12.2004)
   322  Überdrieslich
   323  Der größte Affe
   324  Prinzessin Singelinde (*8.1.2005)
   325  Wie seine Werke sein werden


   326  Der dumme August
   327  Der goldene Käfig
   328  Der Garten
   329  Burg Fischerstein
   330  Der liebe Muck


   331  Die 2 Gesichter (*23.2.2005)
   332  Die Eisprinzessin
   333  Burg Erntenich
   334  Das Wendeltor
   335  Wunderlinge Dinge klinge oder Der wunderliche Basilo (*1.4.2005)


   336  Der Gerechtigkeit
   337  An der Mauer
   338  Wohlstand und Wandel
   339  Der Mütterplatz
   340  Des Alters Torheit

 

 


MamM 321  Dichter Nebel

Es zog aber Dichter Nebel durch den Wald.  Da klagten ihm die Buchen ihr Leid.  Sie hatten nämlich alle ihre Blätter verloren und wurden derhalben von den finsteren Fichten und kiebigen Kiefern arg gehänselt.  Tscha, wie hättest du jetzt getröstet und geschlichtet?  Denn es war ja nicht zu leugnen, die Buchen sahen sehr nackt aus.  Und hier einfach Komplimente zu verteilen, das wäre zwar die Art eines Schwätzers gewesen, eines guten Dichters aber nicht.
     Du weißt nicht, woran du einen guten Dichter erkennen kannst?  Das ist doch ganz einfach!  Einen guten Dichter erkennst du an dem, was er zurückläßt.  Und stell dir vor, als sich am anderen Morgen Zaunkönig und Rotkehlchen verwundert die Augen rieben, da prangten die Buchen in herrlichem Schmuck: Zweige und Äste waren mit zierlichen Perlenketten angetan, wie sie kein Mensch hätte fertigen können.
     Nun waren die Karten neu gemischt.  Allein – glaub bloß nicht, die fiesen Fichten und keifenden Kiefern wären nun in Lobreden und Bewunderung ausgebrochen.  Mitnichten!
     „Seht, seht!“ heuchelten sie Mitgefühl.  „Wie sind doch die Buchen über Nacht ergraut und alt geworden!  Wie wenig wird’s noch währen, und sie sind dahin!
     Tscha, so ist es manches Mal im Leben: Da hättest du allen Anlaß zur Freude, und schon kränkt dich deine Schwester oder dein Bruder aus Mißgunst!  So nahmen sich auch die Buchen die Schmähungen mehr zu Herzen als die bewundernden Blicke von Zaunkönig und Rotkehlchen.  Und als Dichter Nebel wieder einmal vorbeikam, ward ihm nicht Freude mitgeteilt, sondern Leid.
     Und am nächsten Morgen, da wollte es gar nicht richtig hell werden, und Zaunkönig und Rotkehlchen wären am liebsten in den Federn geblieben.  Und da geschah es!  Wie zarte, weiße Kükenfederchen kam es vom Himmel geschwebt.   Erst war es wie kleine weiße Tupfer auf dem Waldboden, doch schon bald lag dort eine weiße Decke, die immer dicker wurde.  Und die Buchen?  Die erhielten einen weißen Winterpelz und waren lustig anzuschauen.  Und wenn der Pelz zu sehr drückte, dann schüttelten sie sich;  und schon war’s nicht mehr beschwerlich.
     Aber die Fichten und Kiefern drückte die weiße Last immer mehr, denn darunter trugen sie ja noch ihr Nadelkleid.  Kläglich senkten sie ihre Äste und Zweige, doch nichts wollte helfen.  Ja, manche Kiefer kam sogar zu Schaden.
     Nun hätten die Buchen tüchtig schmähen und spotten können, allein – sie waren aus edlerem Holze.  Und als Dichter Nebel wieder durch den Wald zog, da baten ihn die Buchen, sich der armen Fichten und Kiefern zu erbarmen.
     Und was meinst du, was geschah?  Verwundert zwinkerten am anderen Morgen Zaunkönig und Rotkehlchen mit den Augen!  Die liebe Sonne stieg lächelnd über die Berge, und von Süden wehte ein warmer Wind.  Der nahm die Pelzkleider mit sich, und es war, als atmeten viele Bäume erleichtert auf.
     Die Fichten und Kiefern hätten nun wieder lästern können, aber die Lust dazu war ihnen vergangen.  Die Buchen hätten dafür auch gar kein Ohr mehr gehabt, denn sie begannen, sich zu recken und zu strecken, und es war ihnen, als müsse bald etwas besonders Schönes geschehen.  Und als Dichter Nebel noch einmal durch den Wald zog, da achtete niemand darauf.
     Allein – der Dichter fühlte sich nicht gekränkt, sondern war den Bäumen wie ein Vater, der lächelnd zusieht, wenn seine Kinder die Bescherung kaum noch abwarten können.  Und am nächsten Morgen begann es, an den Buchen zu grünen, so daß die Vögel des Waldes ein Loblied nach dem andern sangen und sich sogar mit Hochzeitsgedanken trugen.
     Tscha, so geht’s denen, die selbst im Winter nicht verzagen.
© Stiftung Stückwerken, *5.12.2004, freigegeben am 26.6.2024
Qouz-Note: 2+

 


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MamM 324  Prinzessin Singelinde

Ist’s aber wahr?  In den alten Zeiten, da war auch nicht alles Glück und eitel Sonnenschein.  So war der Fulle das Bett zu eng geworden und die Holzbrücke der Sälzer zu einem Ärgernis.  Die Fulle rüttelte und schüttelte;  und da, eines Nachts war es geschehen: Jene Brücke war zertrümmert und fortgerissen worden.  Wer sollte nun Handel und Wandel in das kleine Städtchen bringen?
     Kleines Städtchen?  Nun ja, es kommt drauf an, mit wem du es vergleichst.  Immerhin residierte am Rande des Städtchens eine Prinzessin;  allein – groß war ihr Reich nicht.  Reiche Erzgruben, gar Gold- und Silberadern konnten ihre Lande auch nicht aufweisen;  und wenn ihre Landekinder bisher nicht zu hungern brauchten, so hatte das 2 Gründe: erstlich die weiten Bergwälder jenseits der Fulle und 2. die Salzkaufleute, die im Städtchen zu übernachten pflegten.
     Tscha, und damit schien es nun aus zu sein.  Aber weshalb hatte die Prinzessin nicht gleich eine neue Brücke bauen lassen?  Nun, so klug – oder fast so klug – wie du war die Prinzessin auch.  Aber hast du schon mal versucht, über einen reißenden Fluß eine Brücke zu bauen?  Und Singelinde hatte in 1. Linie Prinzessin gelernt und nicht Baumeisterin.  Jedenfalls – es war wie verhext: Alles, was am Tage gezimmert worden war, ward in der Nacht von der Fulle wieder ein- und fortgerissen.
     Und das war nicht die einzige Sorge der Prinzessin.  Singelinde war nämlich schön und lieblich von Angesicht und wußte zu singen wie – ja, wie eine Nachtigall.  Gut, daß es an der Fulle keinen steilen Felsen gab, auf den sie sich hätte setzen können!  Wer weiß, ob nicht mancher Kahn zerschellt wäre.  Dennoch mußte die Prinzessin wohl manchem Jüngling den Kopf verdreht haben, denn immer wieder sprach einer im Schlosse vor, der um die Hand der Prinzessin anhalten wollte.
     Tscha, wie manche Jungfrau hat gewiß im stillen jene Prinzessin beneidet.  Allein – keine Wahl ohne Qual.  Einen als Gemahl zu erwählen, das hätte bedeutet, auf alle anderen zu verzichten.  Und zeig mir mal den Mann, der alle anderen in allem Guten übertrifft!  Vielleicht kannst du mal solch einen backen, doch achte ich, gar bald wird er beginnen zu bröckeln und bröseln.  Was konnte die Prinzessin also tun?
     Gut, es gab 3 Jünglinge, die in die engere Wahl kamen, aber das waren immer noch 2 zuviel.  Obwohl – der 3., Staat hätte Singelinde mit dem zunächst nicht machen können.  Auch war er sehr schüchtern und – um in der Bäckersprache zu bleiben – noch nicht ausgebacken.
     Wie dem auch sei, die Prinzessin wußte nicht mehr weiter.  Nun lebte aber zu jener Zeit droben im Sittenwald ein sonderbarer Kauz und Köhler, der nimmer in die Stadt hinunterkam, sondern in seinem Walde blieb Tag und Nacht.  Niemand wußte genau, wovon sich der alte Mann ernährte, und so waren mancherlei Gerüchte um ihn im Umlauf.  Eines sprach von Pilzen, ein anderes von Kräutern und Beeren, ja, ein 3. berichtete sogar davon, daß er von den Bäumen nicht nur Früchte und Rinde, sondern sogar das Holz verspeise.  Kräftig waren seine Zähne;  aber daß er an ihnen sogar Axt und Beil schärfe, also das hielten viele doch für etwas übertrieben.  Allein – irgendein Spaßvogel hatte ihn mal Wetzenbart genannt, ein anderer hatte es aufgegriffen, und seit jener Zeit war der alte Köhler unter diesem Namen bekannt.  Und zumindest sein mächtiger weißer Bart belegte, daß an dem Namen zumindest etwas Wahres dran sein mußte.
     Nun ja, wer die ganze Zeit im Walde lebt, der ist gewiß auch heil- und kräuterkundig;  und wer einen weißen mächtigen Bart trägt, der gilt als weise.  Und so wird es dich nicht wundern, wenn mancher mit Sorgen und Fragen zum Sittenwald hinaufwanderte und wenig später mit Hoffnung und Antwort wieder heimwärts zog.  So auch eines Abends die Prinzessin.  Ja, du hast recht aufgemerkt: Die Prinzessin kam nicht in einer prächtigen Kutsche, sondern zu Fuß wie eine Pilgerin.  Und nun willst du gewiß hören, was der wunderliche Wetzenbart der Prinzessin geraten hat.  Stimmt’s?  Ja-ha, das hieße, erst die Rosinen verteilen und dann den trockenen Kuchen.  Nein, nein, ein bißchen mußt du dich noch in Geduld üben.
     Am andern Tag also ward der Richard auf das Schloß gerufen, der 1. der 3 Kandidaten, die in die engere Wahl gezogen worden waren.  Richard, das klingt nicht nach armem Hans;  und am Markte gab es wohl kein prächtigeres Haus als das seinige.  Na, er warf sich also mächtig in Schale und hörte auf dem Wege zum Schloß bestimmt schon die Hochzeitsglocken läuten – und nicht darauf, was die Rathausuhr geschlagen hatte.
     Auf dem Rückweg war es umgekehrt.  Nicht daß ihn die Prinzessin unfreundlich empfangen hätte, aber irgend etwas mußte schiefgelaufen sein.  Ob er sie mit seinem Ring verletzt hatte?  Wie von ungefähr hatte sie beim Gespräch ihre Hand auf die seine gelegt, worauf er die Hand zurückgezogen hatte;  denn ein kostbarer Stein will nicht verdeckt werden, sondern im Lichte strahlen.  Jedenfalls hatte die Prinzessin am Ende der Audienz so mitleidig gelächelt, daß er seitdem das Gefühl nicht mehr los wurde, als Kandidat durchgefallen zu sein.  Und als er am nächsten Morgen aus dem Fenster blickte, da sah er doch diesen Klüghart zum Schlosse stolzieren.
     Klüghart, das klingt nicht nach dummer August oder Demut.  Es hieß sogar, Klüghart habe in Prag die Wissenschaften studiert;  und das hatte er auch niemals abgestritten.  Wenn er mit einem Menschen redete, dann pflegte Klüghart ihm nicht in die Augen zu sehen, sondern über ihn hinweg;  und mancher hatte nach einem solchen Gespräch schon eilig einen Spiegel aufgesucht und aufmerksam Frisur und Perücke überprüft.  Nun – als Klüghart nach einiger Zeit vom Schlosse zurückkehrte, da war weder Haupt noch Blick gesenkt.  Allein – ein guter Beobachter hätte in den Augen jenen trotzigen Stolz gewahren können, der aus einer Kränkung geboren wird.  Hörbar gemacht: Sie war meiner nicht wert.
     Und wer Herr im Hause hätte sein sollen, das hatte er der Prinzessin unmißverständlich klargemacht.  Auch auf seiner Hand hatte die Hand einer Prinzessin geruht, – doch nicht lange!  Gleich hatte er seine Hand weggezogen und auf die Hand der erkorenen Gehilfin gelegt.  Und als sie sich gar erdreistet hatte, ihre andere Hand auf die seine zu legen, da hatte er seine Hand wieder weggezogen und auf ihre beiden Hände gelegt.  Tscha, und wenig später durfte er gehen.
     Am nächsten Tage hättest du dann dem 3. Kandidaten auf dem Wege zum Schlosse begegnen können.  Ob du ihn aber bemerkt hättest?  Hinterdreingesehen hättest du ihm bestimmt nicht!  Das heißt – etwas wäre dir vielleicht an ihm aufgefallen, weil es heute so selten ist: seine Hilfsbereitschaft.  Eine Hilfsbereitschaft, die weder auf Lohn noch auf Dank wartete.  Nein, große Worte lagen dem Hölzerhans nicht.  Hölzerhans – reich oder gelehrt klingt dieser Name nicht, und doch hatte er sich als einziger Bürger ein Steinhaus erbaut – zwar klein, aber sein und mit seinen Händen.
     Tscha, seine Hände!  Das waren nicht die Hände eines Stutzers oder Stubenhockers.  Und als sich wenig später auf der Prinzessin zierliches Händchen seine große Hand legte, da fühlte sie sich nicht weich an, aber schützend wie eine sichere Felsenhöhle vor heftigen Stürmen.  Wie kam es nur, daß sich nun das andere Händchen auf diese Hand legte?  Und sogleich fand sich auch dieses Händchen unter der anderen Hand des Hölzerhans geborgen.  „Lieber Mann!“ – sehr laut wurden diese Worte nicht ausgesprochen, denn was bleibt und gültig ist, bedarf des Lärmens nicht.
     Und die Hochzeitsglocken läuteten;  nun ja, so ganz leise bestimmt nicht.  Allein – wer wollte es beklagen, wenn ein Hochzeitstag vergeht, ihm aber noch schönere folgen!  Und die Stadtmauer wurde niedergelegt und aus den Steinen eine Brücke gebaut.  Eine besondere Brücke, eine Brücke mit einem eigenartigen Klang, der selbst die Fulle bezauberte;  denn die Brücke ward nie mehr durch den Fluß zerstört.
     Und nie mehr wurde das Städtchen zerstört, obwohl es doch gar keine Mauern mehr hatte.  Wem es das zu verdanken hatte?  Nun ja, der Hölzerhans – nun, von dem wissen wir, daß er sich bestimmt keinen großen Namen machen wollte.  Und Wetzenbart auch nicht.  Und da er seinen Wald nie verließ, hat er vielleicht nie erfahren, daß sich das Städtchen seit jener Zeit Wetzenklang nannte.
     Welch ein Segen, wenn aus Mauern eine Brücke wird!
© Stiftung Stückwerken, *8.1.2005, freigegeben am 24.9.2024
Qouz-Note: 2

 


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MamM 331  Die 2 Gesichter

Es wär’ – einmal ein König, der hatte viel gesehen und viel erlebt.   Nun war er in die Jahre gekommen und etwas müde geworden.  Deshalb sah er sich nach einem Verwalter um, der die alltäglichen Geschäfte übernehmen konnte.
     Der König sprach mit diesem und redete mit jenem, und endlich glaubte er den richtigen gefunden zu haben.  Jenner war ebenfalls nicht mehr der jüngste, aber seine grauen Haare und insbesondere seine Brille verliehen ihm ein Aussehen, das Gewissenhaftigkeit versprach und Vertrauen nie enttäuschen wollte.
     Also ward Jenner des Königs Verwalter und 2. Mann im Reiche.  Die Sache ging auch lange Zeit gut, und der König ward sogar ein wenig stolz darauf, eine so gute Wahl getroffen zu haben.  Allein – es kam der Winter, und mit ihm kamen Tage, wo nirgendwo die Sonne oder der Hoffnung Sterne zu erblicken waren und – wo der König nur ungern vor das Schloßtor ging.
     Aber den ganzen Tag herumzusitzen, das ist auch nicht lustig.  Also wanderte der König durch die Zimmer und Säle seines Schlosses, betrachtete die Ahnenbilder, schrieb Tiernamen in Staubschichten und – stand plötzlich im Kabinett seines Verwalters.
     Wer erschrak nun heftiger?  Der Verwalter ob des unerwarteten Besuches?  Oder der König ob des unerwarteten Anblicks, der sich ihm bot?  War das überhaupt noch Jenner?
     Dem hatten anscheinend ob der trockenen Luft die Augen gejuckt.  Deshalb hatte er seine Brille abgelegt, und daher blickte der König nun in 2 verschlagene Augen.
     Der König sprach ein paar belanglose Wörter und verließ wieder das Kabinett;  das, was er gesehen hatte, ging jedoch mit ihm und raubte ihm manche Stunde Schlafs.  Und diesem Manne hatte er so viel Vertrauen entgegengebracht!  Wie fühlte er sich getäuscht und enttäuscht!
     Nun wohnte aber damals abseits der Residenz ein frommer Klausner.  Zu dem machte sich der König eines Morgens auf den Weg und schilderte seine Sorgen.
     „Hat Euch Euer Verwalter denn bereits betrogen?“ fragte der Klausner.
     „Bis jetzt ist mir noch nichts aufgefallen“, räumte der König ein.  „Aber Ihr müßtet diesem Menschen mal in die Augen sehen, dann wüßtet Ihr: Dem ist alles zuzutrauen.
     Der Klausner dachte eine Weile nach und schien dabei immer mehr auf Abwege zu geraten, denn unvermittelt fragte er: „Eure Residenz liegt doch an einem Flusse, nicht wahr?  Sagt einmal, ist dieser Fluß Euch ein Segen oder Fluch?
     „Ein großer Segen!“ antwortete der König, ohne viel überlegen zu müssen.  „Auf ihm kommen Güter in unsere Stadt;  auf ihm werden die Tücher unserer Weber in die ganze Welt gebracht;  in ihm schwimmen Fische;  und aus ihm schöpfen wir Wasser, um das Land zu feuchten.  Nur – das Hochwasser, das hat uns früher manchen Schaden bereitet;  jedoch – seit wir den Deich gebaut haben, ist die Gefahr gebannt.
     „Wenn Ihr des Wassers Kräfte also zu gebrauchen versteht“, folgerte der Klausner, „so gehet hin, und haltet es mit Eurem Verwalter desgleichen.
     Der König nahm sich das zu Herzen, und hinfort waren seine Tage und Nächte nicht mehr durch Mißtrauen vergiftet.
© Stiftung Stückwerken, *23.2.2005, freigegeben am 26.6.2024
Qouz-Note: 3

 


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Teddybär winkt am Fenster
Teddybär winkt am Fenster


MamM 335  Wunderlinge Dinge klinge oder Der wunderliche Basilo

Alte Altenstädter werden sich gewiß noch daran erinnern – jedenfalls diejenigen, die noch einen Blick haben und des Gehens kundig sind.  Also, einige werden sich daran erinnern: Unfern des Schlüsseltores stand einst ein altes Fachwerkhaus und in diesem ein Bär an dessen Erkerfenster.  Na ja, ob das Erkerfenster jenem Bären gehörte, das mag ich hier nicht untersuchen.  Gesichert erscheint aber: Jener Bär war von großer Gestalt und – ausgestopft.  Und doch – ja, denk dir, und doch mußte vermutet werden, daß er lebendig war und gute Hausgenossenschaft pflegte.  Nein, nicht mit allen Altenstädtern, aber für und mit Basilo.
     Basilo wohnte nämlich in jenem Häuschen und – lebte auch dort.  Allein – Basilo war ein Wunderling und Sonderling.  Das kannst du schon daran merken, daß er keine Frau abbekommen hatte.  Mag sein, daß ihn dieses Los anfangs etwas betrübt hatte, denn – bekanntlich halten es die Menschen in solchen Dingen so wie die Kinder bei der Weihnachtsbescherung.  Die Vorfreude wächst und wächst, und die Bräutigame strahlen dich in jungen Jahren an, als hätten sie das große Los gezogen.  Doch ist das Geschenk erst einmal ausgepackt, na dann – dann schreibt sich herbe Enttäuschung in die Gesichter ein, und die Mundwinkel sinken.  Begegnest du also einem Manne in den besten Jahren, der vergnügt vor sich hinpfeift, so kannst du 10 zu 1 wetten, daß er ein Junggeselle ist.
     Basilo war also Junggeselle,   doch auch einem Junggesellen fällt das vergnügte Sein nicht einfach so in den Schoß.  Auch für ihn kommen Tage, von denen er spricht: Sie gefallen mir nicht.  Tage, die das Antlitz nicht mit Krähenfüßen an den Augen zeichnen, sondern mit einem Spechtschnabel über der Nase.  Tage, die dich auf den Namen Notorius Streithammel taufen wollen, so daß dir dieses Omen anhaftet wie Schusterpech.  Und beinahe und andicht –
     Doch – les und hör, wie es Basilo erging – an jenem Tage, der alles veränderte.  Schlecht geschlafen, mit dem verkehrten Bein aufgestanden und dann vor lauter Müdigkeit zu lange getrödelt, – das ließ Unheil erahnen.  So war das Wasser auf dem Herde viel schneller heiß, als es Basilo gedacht hatte;  und plötzlich – du ahnst es schon –begann der Teekessel die Tonleiter emporzutippeln.
     „Sei ein Mann!“ herrschte Basilo den Pfeifer an.
     Tscha, und da geschah es: Der Teekessel herrschte zurück!  „Sei du erst mal ein Mann“, befahl er, „und nimm mich vom Feuer!
     War in Basilos Dachstübchen ein neuer Untermieter eingezogen?  Und wenn – der Auftrag jenes Untermieters war nicht zu tadeln.  Basilo nahm also gehorsam den Teekessel vom Herde, und – sonderbar: Hatte da jemand danke gesagt?
     Allein – der Teekessel pfiff nicht mehr, und die Quelle des Ärgers war damit verstopft.  Doch schon bald sprudelte eine neue Quelle, –wenn auch gefährlich dicht den Grenzen der dichterischen Freiheit.  Jene Quelle war nämlich der Ofen;  den hatte Basilo kurz vorher noch gefüttert, weil es morgens noch sehr frisch war.  Dem Ofen war das aber gar nicht gut bekommen, denn er begann nun atemberaubende Rauchsignale zu senden.  Gut, daß Basilo aus seiner Erfahrung mit dem Herde gelernt hatte!  Er machte deshalb seinem Ärger Luft und schimpfte, was denn dem Herrn Ofen plötzlich eingefallen sei.
     „Nichts“, entgegnete dieser, „aber gewiß etwas zu.  Sei so gut, und schau bitte nach, ob die Klappe zum Schornstein offen ist.
     Sie war es nicht;  und nachdem Klappe und Fenster geöffnet waren, kam Basilo wieder zu Luft und Ruhe, solange – es Herrn Ofen genehm war.
     Nun ja, wenig später stolperte er noch über seine Schuhe;  der Basilo.  Aber auch hier half es, dem Ärger Luft zu machen und mit den Störenfrieden Deutsch zu reden.  Wegelagerer seien sie, schimpfte Basilo, Strauchdiebe!  Was die Schuhe natürlich auf das heftigste bestritten und ihrerseits zum Angriff ritten: Basilo habe sie vernachlässigt!  Ungerecht sei er!  Selbstsüchtig!  Was blieb Basilo also anderes übrig?  Er versprach, den Schuhen künftig einen Ehrenplatz einzuräumen, der Haussegen hing sich wieder gerade, und die Schuhe willigten ein, ihren Dienst wieder anzutreten.
     Dennoch hatte heute die Zahl der Prüfungen ihr Ende noch nicht gefunden.  Und das kam so: Im Gegensatz zu unseren Zeitgenossen hing Basilo einer sonderbaren Ansicht an: Er habe nämlich seine Beine, um damit zu gehen und zu wandern.  Somit mußte es sich das Pflaster hinunter zur Elsenkirche auch heute gefallen lassen, von Basilo getreten zu werden.  Es beklagte sich aber nicht, und auch die drohenden Wolken hielten mit ihrem Zorn noch an sich.  Doch kaum wanderte Basilo schutzlos durch die Lenenaue, da kam auch schon die Bescherung: Die Wolken begannen ihre Wäsche zu waschen und Basilo gleich mit – ohne Vorbestellung, ohne Aufpreis.
     War das ein Ärger!  Basilo schimpfte wie ein Rohrspatz und laut.
     Und vernehmlich kam es von den Regentropfen zurück: „Was bist du nur für ein Dummdackel!  Ärgerst dich selber und machst dir das Leben schwer!  Schau dagegen auf die Vögel, wie vergnügt und guter Dinge sie sind!
     „Das ist wahr“, mußte Basilo zugeben, und schon begann auch er wie ein Vogel zu pfeifen.  Und sonderbar, je eifriger er pfiff, desto vergnügter wurde er.  Ja, er fing sogar mit Rotkehlchen und Meise einen Kanon an.  Mochten auch Mantel und Schuhwerk das Regenwasser fleißig an ihn weitergeben, Basilos Frohsinn trübte das nicht.
     Frohsinn!  Es war, als wäre Basilo an diesem Tage ein neuer Sinn geweckt worden.  Und dieser Sinn ließ ihn auch jenen Bären gewahren, freikaufen und als neuen Hausgenossen aufnehmen.  Fortan war Wunderliches zu bemerken, – natürlich nur von dem, der noch verstand, auf Schusters Rappen zu reiten und reich an Zeit war.
     Verließ nämlich Basilo künftig seine Heimstatt,  so drehte er sich draußen noch einmal um und winkte zum Erkerfenster hinauf.  Zu wem?  Na, zu jenem Bären.  Und kehrte Basilo zurück, dann konntest du ihn manches Mal rufen hören: „Anton, setz schon mal Herrn Teekessel auf!“  Und mährsächlich, wenig später war der Bär vom Fenster verschwunden.
     Mancher schüttelte darüber den Kopf und rückte dann die Bretter vor demselben wieder gerade.  Manch einer aber zog seine Straße vergnügter.
© Stiftung Stückwerken, *1.4.2005, freigegeben am 27.6.2024
Qouz-Note: 2

 


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